Vorwort
Während der Grund diese Abhandlung zu schreiben darin liegt, dass auf dem Festland das eine oder andere Missverständnis hinsichtlich der Kultur Kul Tiras’ zu bestehen scheint, muss etwas angemerkt werden, ehe der geneigte Leser ein jedes Wort als die einzige Wahrheit wertet.
Zuerst muss erwähnt werden, dass es sich bei dieser kurzen Abhandlung keineswegs um die vollständige Geschichte, Beschreibung der Fähigkeiten und Pflichten oder gar Charakterisierung des Ordens der Gezeitenweisen handelt. Die bescheidene Autorin hat nie eine Ausbildung in dieser Hinsicht abgeschlossen, weswegen alles, was sich in diesem Büchlein findet, zwangsläufig ein Blick von außen sein muss und alle in diesem Buch befindlichen Informationen von einer Person mit neugierigem Verstand erfragt werden können. Des Weiteren werden sich hier nur Beschreibungen dessen finden, was die Gezeitenweisen tun, aber nicht des genauen Hergangs. Die Geheimnisse des Ordens bleiben diesem vorbehalten.
Zu guter Letzt drückt die bescheidene Autorin ihre Hoffnung aus, dass dieses Büchlein zum Verständnis zwischen Allianz und Kul Tiras beiträgt.
Inhalt
Die Geschichte
Um zu verstehen, worin sich verschiedene Traditionen und Glaubensrichtungen begründen, müssen diese an der Wurzel gepackt werden. Und wo könnte man diese besser finden, als in der Geschichte? Während draenische oder nachtelfische Leser über diesen Zeitrahmen vermutlich nur müde lächeln können, ist die Gründung des Ordens doch eng mit der Gründung der Nation Kul Tiras selbst vor circa dreitausend Jahren* verwoben.
Den Legenden nach spaltete sich ein Teil der Bürger von Gilneas von ihrem Staat ab. Die Gründe für diese Entscheidung scheinen im Verlaufe der Zeit verloren gegangen zu sein. Fakt ist jedoch, dass diese Pioniere sich mit Schiffen aufmachten um ein neues Land für sich zu finden. Es kam, wie es kommen musste, wenn man sich ohne festes Ziel und daher auch ohne verfügbare Navigation zu See begibt. Diese ersten Kul Tiraner verblieben orientierungslos auf See und wären gewiss verhungert, ihre Schiffe gesunken, wenn nicht der erste jener unglücklichen Linie, deren vorletztes Mitglied ein so unrühmliches Ende nahm, die Stimme der See gehört hätte.
Es war der erste Lord Sturmsang, der die sanfte Stimme der Gezeitenmutter hörte. Jene leisen Klänge zeigten ihm, wie er Wind und Wellen lenken konnte. Und als die Macht jenes ersten Gezeitenweisen zunahm, begannen andere in seinem Umfeld die Stimme ebenfalls zu hören. Es waren diese ersten Gezeitenweisen, die die kleine Flotte an Pionieren rettete. Durch ihre Gaben erschufen sie Frischwasser, lenkten den Wind in die Segel und leiteten Fische in die Netze. Über die Zeit wurde klar, wohin sie geleitet wurden. Am Horizont zeigten sich die Inseln ihrer neuen Heimat: Kul Tiras.
Lord Sturmsang nahm sich für seine Rolle in der Rettung der Menschen das fruchtbarste Land der Inseln und benannte es nach seinem Haus. Bis heute ist das Sturmsangtal die Kornkammer der Nation und beherbergt den Schrein des Sturms, das größte Kloster des Ordens. Der Orden selbst spielt seit jeher eine wichtige Rolle im Leben fast jeden Kul Tiraners.
*Anm. d. Aut.: Manche Quellen sprechen von zweitausendachthundert Jahren. Das exakte Datum wird sich vermutlich niemals feststellen lassen.
Die Struktur des Ordens
Der geneigte Leser wird feststellen, dass große Teile dieses Kapitels in der Vergangenheitsform geschrieben wurden. Mit dem Verrat des verstorbenen Lord Sturmsang an seiner Aufgabe und seiner Nation wurde die bisherige Ordnung des Ordens gestört. Welche neue Struktur sich etablieren kann, wird wohl nur die Zeit zeigen können.
Bislang stand der älteste Lord Sturmsang stets an der Spitze des Ordens. Vermutlich durch die Blutlinie zu jenem ersten legendären Gezeitenweisen mit Befähigung zum Bändigen der Elemente gesegnet, wurde die Führung des Ordens in eben jener Blutlinie weitergegeben. Das letzte Wort lag bislang also stets bei dem jeweiligen Lord. Gerüchten zufolge verfügt Brannon Sturmsang, der jüngste Spross des Hauses, jedoch nicht über die Befähigung zum Gezeitenweisen zu werden*. Bruder Pike, der während der Rebellion gegen Sturmsang mehr oder minder die Führung der Sturmwacht übernahm, erscheint wie der beste Kandidat für die weitere Leitung des Ordens.
Unter Lord Sturmsang und jenem Hilfestellung leistend stand bislang der Gezeitenrat. Üblicherweise bestehend aus den Anführern der inoffiziellen Ausrichtungen des Ordens war es die Aufgabe des Rats die Sorgen der Bevölkerung und der Ordensmitglieder an Lord Sturmsang heranzutragen. Bis eine tapfere Gruppe an Abenteurern den Schrein des Sturms von Lord Sturmsang und seiner Korruption befreite, hatten diese Posten Bruder Eisenkiel und Sturmbeschwörerin Faye inne. Als Vertreter der Kielwächter und Sturmrufer fielen sie mit als erstes dem verderblichen Einfluss der dunklen Mächte aus der Tiefe zum Opfer.
Noch darunter stehen die restlichen Mitglieder des Ordens, die üblicherweise mit „Bruder“ oder „Schwester“ betitelt werden. Der Rang des „Initianden“ oder der „Initiandin“ ist für jene reserviert, die ihre Ausbildung noch nicht abgeschlossen haben.
*Anm. d. Aut.: Was eine Erklärung dafür sein könnte, dass er von jenen verdorbenen Mächten verschont wurde, die Lord Sturmsang heimsuchten.
Spezialisierungen
Wie vorher angemerkt sind die Unterscheidungen innerhalb des Ordens keinesfalls harte Richtlinien. Ähnlich anderen Berufen entscheiden sich jedoch auch die Gezeitenweisen zumeist dazu sich auf ein Feld ihrer Berufung zu konzentrieren. Das bedeutet nicht, dass ein Wellensprecher es nicht mehr vermag den Wind zu lenken, nur, dass der Fokus eines solchen eher auf dem Meer liegt, denn im Himmel. Der hier präsentierte Überblick erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, soll vielmehr dazu dienen eine grobe Übersicht zu verschaffen.
Die Wellensprecher:
So sind es am ehesten die Wellensprecher, die es vermögen zu erfühlen, ob etwas mit der See nicht stimmt. Wenn das Meerwasser und die Kreaturen um sie herum verdorben werden, fühlen dies die Wellensprecher als geschähe es ihnen am eigenen Leib. So sind es aber auch meistens sie, die über die größten Fähigkeiten darin verfügen die Strömungen der See zu lenken, die Fischer zu den ertragreichsten Schwärmen zu lenken. Ebenso stellen sie die besten Heiler, nutzen dazu entweder die Magie des Wassers selbst oder aber durch ihre Kräfte gesegnete Gemische aus Seewasser und anderen Reagenzien (beispielsweise Seetang oder Walblubber).
Die Sturmrufer:
Manchmal auch Sturmsänger oder Böensänger genannt verschreiben diese Mitglieder des Ordens sich Wind und Wetter. In ihrer Macht liegt es den Wind zu lenken und damit für eine gute Überfahrt zu sorgen. Die Natur ihrer Magie scheint sich ebenfalls besser dazu zu eignen anzugreifen. Die bescheidene Autorin konnte selbst Zeuge davon werden, wie ein Sturmrufer einen Orc binnen Sekunden zuerst mit Wind zerschnitt und anschließend mit einem Blitzschlag vollständig kampfunfähig machte.
Auf der zivilen Seite sind es üblicherweise Sturmrufer, die die Felder des Sturmsangtals mit Regen segnen und so für bessere Ernten Sorge tragen. Es liegt zudem in ihrer Macht Schiffe mit Nebel zu tarnen und so unerkannte Landungen zu ermöglichen.
Die Eisenkiele:
Am ehesten mit den Paladinen des Festlands vergleichbar, treten diese Mitglieder des Ordens im Gegensatz zu ihren Brüdern und Schwestern in schwerem Plattenpanzer auf. Als Teil ihrer Ausbildung erlernen sie daher auch den Umgang mit den gängigen Nahkampfwaffen und spezialisieren ihre Magie auf die Verstärkung eben jener Fähigkeiten. So ist es ihnen möglich Segen auszusprechen, die Schaden von ihnen selbst und ihren Verbündeten abhalten, oder aber ihre Hiebe durch die Kraft der Gezeitenmutter selbst derart zu verstärken, dass der bemitleidenswerte Kontrahent sich fühlt als wäre er von einer Flutwelle getroffen worden.
Dem Namen entsprechend ist es Teil ihrer Aufgaben den Rumpf der tirassischen Schiffe zu segnen. Ein Schiff mit einem solchen Segen vermag es selbst dem Angriff eines ausgewachsenen Kraken eine Weile stand zu halten.
Die Runenmetze:
Eine der am wenigsten häufigen Spezialisierungen. Die Runenmetze vermögen es ihre Magie und die diversen Segen in Runen zu speichern und bei Bedarf freizusetzen. So vermögen sie es beispielsweise einen Segen des Windes zur leichteren Bewegung zu einer Rune zu formen. Diese Rune beschleunigt dann die Bewegungen aller Streiter in ihrem Wirkungsbereich.
Geteilte Aufgaben und Fähigkeiten
Während es die Hauptaufgabe dieser inoffiziellen Spezialisierungen sein mag ihren jeweiligen Gebieten nachzugehen, teilen die Mitglieder des Ordens doch die meisten Fähigkeiten in zumindest rudimentärer Form. Dazu gibt es Aufgaben und Fähigkeiten, denen ein jedes Mitglied des Ordens nachgehen sollte.
- Die letzten Riten: Traditionsgemäß werden die Seelen der Toten in einer Totenglocke zu einem Gezeitenschrein gebracht. Von dort fließen sie durch die Strömungen des Meeres durch den Schrein des Sturms zu ihrer letzten Ruhestätte unter den Wellen. Es sind die unermüdlichen Seelen all jener, die vor uns von dieser Welt gingen, die der tirassischen Flotte ihre Stärke verleihen.
- Segen für Jagden, Fischfang: Der Segen der Gezeitenweisen ist keineswegs dem Militär oder der Nobilität vorbehalten. Auch die Monsterjäger, wie beispielsweise die Raunacken, und Fischer holen den Segen des Ordens ein, um eine gute Jagd oder einen guten Ertrag zu gewährleisten.
- Heilung: Auch wenn die Wellensprecher den größten Teil dieser Aufgaben übernehmen sollten, soll jedes vollwertige Mitglied des Ordens zumindest über Rezepte für Arzneien gegen die gängigsten Krankheiten verfügen. Wenn ein Kul Tiraner krank ist, richtet er sich schließlich zuerst an einen Gezeitenweisen.
- Segnungen der Schiffe und Schiffstaufen: Ein jedes tirassisches Schiff erhält einen Segen durch die Gezeitenweisen. Durch diesen Segen wird es widerstandsfähiger gegen die Gefahren, die in der Tiefe lauern. Auch das im Schiffsbau verwendete Sturmsilber muss erst durch einen Gezeitenweisen gesegnet werden. Bevor das geschieht, ist es wertlos.
- Hochzeiten: Wenn auch nicht zwingend erforderlich, sollte der Segen eines Gezeitenweisen über die Verbindung zweier Liebender doch ein willkommener Anblick sein. Im Angesicht einer weniger starken Präsenz des Ordens an sich, findet auch dies in Drustvar weniger Anklang als in den beiden anderen Provinzen der Nation.
Die Implemente des Ordens
- Das Gezeitenkris: Ein Dolch mit wellenförmiger Klinge. Nicht nur ein Mittel zur persönlichen Verteidigung im Notfall, dient das Gezeitenkris auch dazu bei jenen wenigen Ritualen, die ein Blutopfer erfordern, eben jenes Blut zu ziehen. Die Klinge des Kris’ ist Gerüchten zufolge stets scharf.
- Die Mantelung des Wellenrufes: Mit auf Schriftrollen festgehaltene Segnungen zieren diese Schulterstücke. Während die genaue Wirkweise der Autorin nicht erklärt wurde, dienen diese wohl dazu die bereits vorhandenen Fähigkeiten eines Gezeitenweisen zu verstärken.
- Das Abgründige Leuchtfeuer: Nicht immer weisen die Feinde von Kul Tiras den Mut auf sich offen zu zeigen. Zu diesem Zweck kann ein Gezeitenweiser eine dieser gesegneten Laternen mit sich führen. Ihr Licht vermag es magische Trugbilder zu durchbrechen, wie ein Leuchtturm hinderlichen Nebel.
- Die Anker: Am ehesten zu vergleichen mit den Totems der Schamanen des Festlands. Ein Anker ist ein runder Fokus aus Holz, versehen mit einer ankerförmigen Verzierung an der Spitze. Die meisten von ihnen dienen einem spezifischen Zweck, wie beispielsweise ein wildgewordenes Elementar zu bändigen. Von den Anhängern des verräterischen Lord Sturmsang wurden die Anker schändlicherweise gegen Bürger von Kul Tiras eingesetzt.
Die Gezeitenmutter
Allein der Kontakt mit der Allianz und deren Schamanen entfachte die Debatte darüber, wer oder was die Gezeitenmutter ist, neu an. Während Lord Sturmsang Gerüchten zufolge Einflüsterungen erlag, die er für die Stimme der Gezeitenmutter hielt, vermögen die Mitglieder des Ordens auch nach dem Niedergang der Quelle eben jener finsteren Machenschaften weiterhin ihre Magie zu wirken. Der Gedanke liegt also nahe, dass es sich bei der Gezeitenmutter nicht um jene Kreatur handelt, die Lord Sturmsang auf den Pfad des Verderbens lenkte.
Ob es sich dabei jedoch um Neptulon, den Meeresfürsten handelt, oder über eine gänzlich andere Wesenheit (Vielleicht gar eine Göttin wie Elune) wird wohl Gegenstand von Vermutungen bleiben müssen. Die bescheidene Autorin kann jedoch bestätigen, dass die Stimme der See eine sanfte ist, mütterlich, wie sie als Lebensspenderin einer ganzen Nation sein sollte.
Schlusswort
Es ist die Hoffnung der Autorin, dass dieser kleine Einblick in einen der wichtigsten Teile der tirassischen Kultur für den geneigten Leser eine Freude war. Vielleicht trägt dieser Text einen winzigen Teil dazu bei, dass Kul Tiras und Allianz sich weiter annähern. Auf dass zusammenfinde, was nie hätte getrennt werden sollen.
Ehre der Allianz.
Ehre der Lordadmiralität.