Geschichten einer Abenteurerin – Band 19

Geschichten einer Abenteurerin - Band 19
Das neunzehnte Buch einer Reihe von Nacherzählungen zu den Erlebnissen von Kari Sha’thar. Dieses Buch trägt den Titel: "Kapitänin Spottdrossel - Der Geruch des Todes".

Kapitänin Spottdrossel – Der Geruch des Todes

Prolog

Was bisher geschah:

Ich hatte ein eigenes Boot geschenkt bekommen, die Sturmtanz. Es war ein kleines Boot, aber es war meins. Und so segelte ich als Kapitänin Spottdrossel gen SĂĽden, den Abenteuern entgegen. Und schon bald erlebte ich das Erste. Eine Horde Piraten nahm mich gefangen. Ich konnte jedoch zusammen mit einer kleinen Expedition weiter gen SĂĽden fliehen. Ich hatte den Piraten eine Art Schatzkarte entwendet und so startete ich schlieĂźlich zusammen mit Schreihals, der AnfĂĽhrerin der Expedition, Blondschopf und EisenbeiĂź eine Erkundungstour. Wir fanden schlieĂźlich ein paar Trollruinen, aber auch die Piraten, die das gleiche Ziel hatten. Wir entwendeten einen Edelstein aus den Ruinen und konnten trotz unzähliger Trolle, die dazu kamen, fliehen. Durch einen kleinen Trick von mir sogar mitsamt der Beute. Während die Expedition wieder nach Norden segelte, segelte ich weiterhin an der KĂĽste in Richtung SĂĽden weiter. Mein Ziel war Beutebucht, was ich schlieĂźlich auch erreichte. Hier entschied ich, eine kleine Pause einzulegen und dann den Weg Richtung Heimat zu nehmen. 

Inhalt

Kapitel 1 – Richtige Erziehung

Es war eine dieser typischen Kneipen von Beutebucht, laut, schmutzig, stickig, in der ich mich bequem gemacht hatte. Die Beine hatte ich lässig auf einen zweiten Stuhl hochgelegt, den eigenen Stuhl so gedreht, dass ich den Raum gut im Blick hatte. Ich wĂĽrde diesen Halsabschneidern hier in der Kneipe gewiss nicht den RĂĽcken zukehren. Ich nahm einen Schluck aus dem schweren Krug, der vor mir stand. Das Bier schmeckte wie schon einmal getrunken, war aber noch das Beste, was man ĂĽberhaupt nehmen konnte. Der Wein bestand nur aus Essig, das Wasser verursachte im besten Fall nur eine Magenverstimmung und die härteren alkoholischen Sachen fĂĽhrten unweigerlich zum Erblinden. Blieb also nur das Bier, wenn man nicht verdursten wollte. 

Ich beobachtete träge die anderen Gäste, wie sie sich unterhielten und genoss das Stimmengewirr. Hätte ich nicht gedacht, dass mir dieses Geräusch einmal fehlen wĂĽrde, aber so war es eben, wenn man tagelang alleine in einem Boot saĂź und nichts anderes zu hören bekam, als das Rauschen des Windes und der Wellen und hin und wieder die eigene Stimme, wenn man anfing Selbstgespräche zu fĂĽhren. Ich war eindeutig fĂĽr das Alleinsein nicht geschaffen, ich brauchte die Gespräche. 

Ich nippte wieder an dem Bier und zwang mich, die FlĂĽssigkeit auch herunterzuschlucken, da bemerkte ich, wie sich die TĂĽr des Gasthauses öffnete. Ein menschlicher Junge, vermutlich so knapp sechzehn Jahre alt – ich bin im Schätzen des Alters von Menschen nicht sehr gut – betrat gehetzt den Raum, schlĂĽpfte zwischen zwei vollbesetzten Bänken hindurch und verschwand direkt unter meinem Tisch. Ich hob verwundert eine Augenbraue und wollte schon den Mund öffnen, da ging die TĂĽr ein weiteres Mal auf und drei finster aussehende Kerle kamen herein. Die Gespräche in der Kneipe verstummten allmählich, während der vorderste Kerl, ein HĂĽne, fast so breit wie hoch sich Platz verschaffte und meinen Tisch ansteuerte. Die beiden anderen Kerle folgten. Der eine hatte eine beeindruckend gebogene Nase. Die war vermutlich bereits mehrfach gebrochen und dann unbehandelt schief zusammengewachsen. Der Dritte im Bunde war zwar noch nicht alt, aber hatte nur noch sehr spärlich Haare auf dem Kopf. Um das Ganze zu kaschieren, hatte er sich ein Stirnband umgebunden. Das machte ihn aber auch nicht hĂĽbscher, zumal das Band auch noch rot-weiĂź kariert war und ihn eher lächerlich wirken lieĂź.

»Hey du!« sprach mich der Hüne an, nachdem er sich vor meinem Tisch aufgebaut hatte. »Unter deinem Tisch hat sich eine kleine Ratte verkrochen. Geh mal weg, damit wir sie herausholen können.« Benehmen hatte der Kerl schon mal nicht, allerdings hätte ich vermutlich auch allergisch reagiert, wenn er das feinste Auftreten an den Tag gelegt hätte. Ich hob entsprechend wieder eine Augenbraue.

»Das Etablissement ist zwar nicht gerade atemberaubend und auch nicht das ordentlichste, aber eine Ratte habe ich hier bisher nicht gesehen. Schon gar nicht unter meinem Tisch. Ihr müsst euch irren.« Der Kerl beugte sich zu mir runter.

»Willst du damit sagen, dass ich lüge? Rück die Ratte raus!« knurrte er und ich bekam einen Schwall seiner nach Schweiß riechenden Ausdünstungen mit. Ich kräuselte die Nase.

»Nochmal, da ist keine Ratte. Und jetzt rĂĽck ab, du verpestet mir die Luft.« erwiderte ich. Dieses Mal gab ich mir nicht einmal mehr die MĂĽhe, freundlich zu sein. Der Kerl verzog wĂĽtend das Gesicht. »Du kleine Elfenschlampe, ich werd dir â€¦Â« Der Rest des Satzes endete in einem Keuchen. Der HĂĽne hatte bereits eine Hand nach mir ausgestreckt, um mich am Kragen zu packen, doch ich war ihm zuvorgekommen, hatte seinen Zeigefinger gepackt und diesen bis kurz vor dem Brechen verbogen. Er musste seine Hand abwinkeln, um ein wenig Druck von seinem Finger zu bekommen, doch ich blieb unerbittlich und drĂĽckte nach.

»Wie hast du mich gerade genannt?«, fragte ich und stand langsam von meinem Stuhl auf. Er hingegen ging langsam in die Knie, um seinen Finger vor dem Brechen zu bewahren.

»Du â€¦ lass los!« beschwerte er sich, aber ich dachte nicht daran, damit aufzuhören. »Ich hab dich was gefragt!« meinte ich nur. 

Da merkte ich aus den Augenwinkeln, wie Schiefnase seinem Kameraden zu Hilfe sprang. Er wollte mir eine verpassen und so den Hünen befreien, doch mit so einer Aktion hatte ich gerechnet. Als Schiefnase vorsprang, um in Reichweite zu kommen, stieß ich ihm den Stuhl, auf dem meine Beine geruht hatten, entgegen. Das klappte wirklich ausgezeichnet, der Stuhl stoppte den Angreifer augenblicklich. Es ist schwierig, jemanden zu schlagen, wenn man beim Vorgehen plötzlich eine Stuhllehne in den Bauch gerammt bekommt. Schiefnase keuchte auf und stürzte zu allem Überfluss auch noch komplett über den Stuhl und knallte schmerzhaft hin. Bei dem Anblick verzog sogar ich den Mundwinkel.

»Autsch â€¦Â« meinte ich, behielt dabei jedoch den Druck auf den Finger des HĂĽnen bei. Dann trat der Dritte im Bunde in Aktion und wollte mich von der anderen Seite her angreifen. Kurzerhand drehte ich mich leicht, packte den HĂĽnen an der Schulter, verdrehte seinen Finger noch ein wenig mehr, was ihn erneut stöhnen lieĂź und schubste ihn dann seinem Kameraden in die Arme. Der HĂĽne, plötzlich frei, war darauf ĂĽberhaupt nicht gefasst gewesen und stolperte rĂĽckwärts und kollidierte, wie von mir beabsichtigt, mit dem Kahlkopf. Der Koloss war viel massiger als sein Kamerad und drängte ihn zurĂĽck, was dazu fĂĽhrte, dass Kahlkopf ĂĽber einen Tisch flog. Dumm nur, dass auf dem Tisch mehrere BierkrĂĽge standen, die er alle mit abräumte. Das brachte die Leute drumherum dazu, nun selbst aktiv zu werden. Ich murmelte ein leises »Ups â€¦Â« und zog mich unauffällig zu meinem Tisch zurĂĽck, während der HĂĽne und der Kahlkopf es mit fĂĽnf Gesellen zu tun bekamen, deren BierkrĂĽge auf dem Boden gelandet waren.

Ich brauchte nicht lange zu warten, da war das Handgemenge vorbei und der HĂĽne und Kahlkopf lagen am Boden und rĂĽhrten sich nicht mehr. Die fĂĽnf Kerle setzten sich wieder und ich rief ihnen hinĂĽber. »Vielen Dank, die Herren. Die nächste Runde geht auf mich.« worauf sich deren Mienen wieder hoben. Ich setzte mich an meinen Tisch und winkte die Kellnerin zu mir. »FĂĽr die Herren am Nebentisch eine Runde Bier. FĂĽr mich â€¦ hmm â€¦ noch ein Bier und â€¦ etwas zu Essen. Der Eintopf soll hier genieĂźbar sein, oder?« Die Kellnerin lächelte und nickt. »Kommt sofort.« 

Ich zog den Stuhl, den ich der Krummnase entgegengetreten hatte, wieder zu mir hin, legte aber meine Füße nicht darauf. Aus der Küche kamen zwei Männer, griffen die drei bewusstlosen Kerle auf dem Boden und schleppten sie nach draußen. Ich wollte eigentlich wissen, wohin man sie brachte, aber ich hielt dann doch lieber meinen Mund und trank von meinem abgestandenen Bier.

Die Kellnerin kam zurück und brachte das verlangte zweite Bier und den Eintopf. Ich rührte beides nicht an und wartete noch eine Weile, bevor ich einen Blick unter den Tisch riskierte. Der Junge hockte dort immer noch, in einer ungemütlichen Haltung und blickte mich mit großen Augen an. »Also, Junge, der Eintopf wird kalt. Und unter den Tisch stelle ich ihn nicht. Du musst schon rauskommen.« meinte ich mit einem Schmunzeln und wartete ab. Der Junge tauchte nur zögerlich unter dem Tisch auf und blickte scheu zu mir. Ich deutete ihn mit den Augen an, sich auf den freien Stuhl zu setzen und schob ihm Bier und Eintopf hin. Das Bier war so dünn, das würde er vertragen. Hätte ich doch eher Wasser bestellt, wäre ich dem nicht so sicher gewesen. Der Junge hatte schwarzes, wildes Haar und ein Gesicht voll Sommersprossen. Er blickte mit hungrigen Augen auf den Eintopf und setzte sich schließlich, griff nach dem Holzlöffel, der daneben lag und begann zu essen. Oder eher, das Zeug in sich hineinzuschaufeln. Ich blickte ihm amüsiert beim Essen zu, wie er die ganze Schüssel leerte. Mein Eindruck hatte sich also nicht getäuscht, der Junge war ausgehungert. Ich musterte ihn etwas genauer. Seine Kleidung musste einmal sehr hochwertig gewesen sein, doch jetzt war sie verschlissen und starrte nur so vor Dreck. Das passte nicht ganz zu einem der elternlosen Kinder von Beutebucht. Aber ich hielt mich mit meinen Fragen zurück, bis er fertig gegessen hatte. Leicht war das nicht.

Kapitel 2 – Eine merkwĂĽrdige Geschichte

»Dann erzähl mal. Du bist bestimmt nicht von hier, oder?« fragte ich schlieĂźlich, als die SchĂĽssel und der Krug leer waren und der Junge sich mit einem Seufzen zurĂĽckgelehnt hatte. Sofort schaute mich der Junge mit einem gehetzten Blick an. Ich hob beschwichtigend die Hand. »Ich will dir helfen, also beruhig dich.« Meine Worte halten tatsächlich und der Junge nickte nach kurzer Zeit und begann zu sprechen. 

Die Eltern des Jungen waren Forscher und gehörten zu einer Gruppe, die eine Ruine im Dschungel untersuchen wollten. Weshalb wusste der Junge nicht, der seine Eltern begleitet hatte, damit er ihr Handwerk erlernen konnte, auch wenn er selbst sich nicht so sehr dafür interessierte. Das kannte ich von mir selbst auch. Ich hatte auch Dinge lernen müssen, die mich nicht interessierten, nur weil meine Mutter für mich entschieden hatte. Am Ende war ich weggelaufen. Bei dem Jungen hier vor mir war das etwas anders. Er beschrieb eine schreckliche Nacht, in der Männer über die kleine Gruppe Forscher hergefallen waren und alle gefangen genommen hatten. Der Junge, dessen Namen ich sofort wieder vergessen hatte, konnte in der Dunkelheit entkommen. Er schlug sich durch den Dschungel und über mehrere Hügel bis nach Beutebucht durch, was schon eine beachtliche Leistung war. Nur hier hatte sich niemand für die entführten Forscher interessiert und der Junge hatte kein Geld, um irgendjemanden anzuheuern. Und dann wäre er fast noch den drei Kerlen in die Hände gefallen, die ihn verschleppt hätten. Vermutlich wäre er auf irgendeinem Schiff gelandet und hätte dort arbeiten müssen.

Für mich bestand kein Zweifel, das hörte sich nach einem spannenden Abenteuer an, da wollte ich dabei sein. Außerdem wollte ich dem Jungen und seinen Eltern unbedingt helfen, daher besorgte ich für uns beide ein wenig Ausrüstung und wir machten uns auf den Weg, raus aus der Stadt, hinein in den Dschungel.

Der Weg war am Anfang noch ganz angenehm, wurde aber, je weiter weg wir von Beutebucht kamen, schwieriger. Der Junge fĂĽhrte mich ĂĽber mehrere HĂĽgel, die so steil waren, dass wir sie regelrecht erklimmen mussten, bis wir durch das dichte Blätterdach hindurch das Meer sehen konnten. Ich fand das irgendwie beruhigend. SchlieĂźlich erreichten wir die Ruinen, an denen die Eltern des Jungen geforscht hatten. Wir kamen an einer Stelle etwas oberhalb der Bauwerke heraus, die mir verdächtig nach Gebäude von Nagas aussahen. Zumindest hatte ich bei den zwei Begebenheiten, bei denen ich mit Nagas in BerĂĽhrung gekommen war, genau solche Häuser gesehen. 

»Da unten haben wir gelagert«, sagte der Junge und deutete zum Strand. Ich blickte dort hin und seufzte schlieĂźlich. 

»Bei allen Dämonen â€¦ ihr wollt mich doch auf den Arm nehmen, oder?« fluchte ich, denn im Wasser, nicht weit vom Strand, sah ich etwas, womit ich nicht mehr gerechnet hatte. Da ankerte ein Schiff. Aber nicht irgendein Schiff. Nein, es war ein mir bekanntes Schiff. Das Schiff, das einst Piraten gehört hatte, das ich mithilfe einer Expedition unter Leitung von Schreihals gekapert hatte und das nun wohl wieder den Piraten in die Hände gefallen war, denn es hing ganz eindeutig eine Piratenflagge am Mast. 

Der Junge starrte mich erschrocken an, aber ich ignorierte seinen Blick, zog mein Fernrohr aus der GĂĽrteltasche, zog es auseinander und spähte hindurch. »Oh Schönling, du hast ja ganz schön Federn lassen mĂĽssen â€¦Â« meinte ich grimmig, als ich den AnfĂĽhrer der Piraten sofort entdeckte. Er hatte nicht nur eine Narbe im Gesicht, die ich ihm damals verpasst hatte, nein, seine Nase war wohl auch gebrochen und noch nicht richtig verheilt und auĂźerdem hinkte er. Auch ein paar seiner Kameraden erkannte ich, denen ging es nicht sehr viel besser. Nur die Zwergin hatte keine sichtbaren Blessuren. Ich senkte das Fernrohr.

»Waren das die Kerle, die deine Eltern entfĂĽhrt hatten?«, fragte ich den Jungen und dieser nickte nach kurzem Zögern. »Verdammt. Das könnte etwas komplizierter werden, als gedacht. « 

»Wieso denn?«, fragte mich der Junge und ich kaute auf meiner Unterlippe. »Sagen wir mal so. Ich hatte mit den Leuten da drĂĽben schon die ein oder andere Begegnung und sie könnten â€¦ na ja â€¦ ziemlich sauer auf mich reagieren. Wenn die mich erwischen, bin ich tot.« Ich seufzte kurz und zuckte dann mit den Schultern. Andererseits, wo blieb denn auch der Reiz, wenn man nicht in Gefahr war? Ich blickte zum Himmel. Die Sonne berĂĽhrte beinahe schon den Rand des Horizonts, es wĂĽrde also nicht mehr lange dauern, bis es dunkel war.

Ich suchte mir einen Stein, auf den ich mich setzen konnte und immer noch das Schiff im Blick hatte und begann meine Ausrüstung zu sortieren. »Wir warten, bis die Nacht anfängt. Dann werde ich rüber schwimmen und mich dort ein wenig umschauen. Wenn ich deine Eltern finde, bringe ich sie raus. Du bleibst die ganze Zeit hier, hörst du? Ich verlasse mich da auf dich, ja?« Der Junge nickte. »Gut.« Und damit begann das Warten.

Kapitel 3 – WĂĽtende Kari

Das Wasser war angenehm warm und die Wellen nicht sehr hoch. Das waren schon einmal gute Voraussetzungen. Der Mond war aufgegangen und leuchtete mir den Weg zum Schiff. Kein Wölkchen am Himmel. Ich schwamm langsam und versuchte das Wasser so wenig wie möglich aufzuwĂĽhlen, damit eine aufmerksame Wache an Bord nichts bemerkte. Das GlĂĽck war mir hold, niemand bemerkte mich, als ich endlich den Rumpf des Schiffes erreichte. Ich suchte mir einen Weg, wie ich nach oben und an Deck klettern konnte und hielt dann kurz inne, als ich die Reling erreicht hatte. Ich lugte vorsichtig ĂĽber den Rand und musterte das Deck auf der Suche nach einer Wache. DafĂĽr brauchte ich nicht lange zu suchen, ich entdeckte sie sehr schnell und unangenehm in meiner Nähe. Noch dazu war es die vorher erwähnte Zwergin. Zwerge konnten doch, im Gegensatz zu Menschen, im Dunkeln sehen, oder? Das war unerfreulich. Aber es gab auch etwas Positives. Die Zwergin nahm das “Wache halten” nicht so ernst, andernfalls hätte sie mich vermutlich schon bemerkt gehabt. Aber sie wähnte sich vermutlich in Sicherheit, was verständlich war. Wer käme denn schon auf die Idee, dass die verhasste Elfe gerade an Bord des Schiffs kletterte? Diese Situation musste ich mir zunutze machen. 

Ich kletterte ĂĽber die Reling und huschte sofort hinter eine der Kanonen, die hier an Deck standen. Die Zwergin reagierte nicht, also hatte sie mich nicht entdeckt. Sehr gut. Also dann zu Teil zwei, den Stumpen ausschalten, damit ich mich freier bewegen konnte. Ich passte die Situation ab, in der sie mir den RĂĽcken zuwandte. Dann huschte ich lautlos ĂĽber das Deck und kam mit Schwung bei ihr an. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, rammte ich ihr die Schulter in den RĂĽcken, sodass sie nach vorne taumelte. Sie kam mit einem erschrockenen Keuchen direkt vor der KajĂĽtenwand zum Stehen, aber ich lieĂź ihr keine Zeit, sich zu sammeln. Ich packte sie am Nacken und drĂĽckte mit aller Kraft ihren Kopf nach vorne, sodass ihre Stirn mit der Wand kollidierte. Es gab ein hohles POCK, doch das schien die Zwergin nicht wie erwartet bewusstlos zu Boden sinken. Nein, sie taumelte zurĂĽck und hielt sich ihren Schädel. Blut lief ihr die Stirn runter und sie öffnete bereits den Mund fĂĽr einen lauten Schrei. Ich packte wieder zu und verschloss ihren Mund mit meiner flachen Hand. Prompt biss sie mir ihn jene und ich musste an mich halten, um nicht selbst zu schreien. Ich schob mein Bein vor, genau zwischen ihre taumelnden Schritte und brachte sie zu Fall. Ich nutzte den Sturz aus und drĂĽckte mit der Hand an ihrem Mund den Kopf der Zwergin nach hinten, sodass nun ihr Hinterkopf mit dem Deck kollidierte. Es gab dieses Mal ein dunkleres POCK von sich, aber das war dann auch fĂĽr so einen widerstandsfähigen Stumpen zu viel. Die Zwergin blieb der Länge nach ausgestreckt liegen. Ich nahm die Hand von ihrem Mund, schĂĽttelte sie aus und besah mir dann die Handfläche. Da hatte sich eine ordentliche Zahnreihe ins Fleisch eingegraben. »Au â€¦ du blöde Kuh â€¦Â« fluchte ich und rieb mir die schmerzende Stelle. Es dauerte einige Augenblicke, bis der Schmerz endlich abebbte und ich mich noch einmal umsehen konnte. Es hatte keinen Alarm gegeben, niemand hatte die Auseinandersetzung bemerkt. Gut so. Ich zog die Zwergin bis zum Mast und positionierte sie in einer sitzenden Haltung, als hätte sie sich dort hingesetzt und wäre bei der Wache eingeschlafen. Das wĂĽrde zwar niemanden lange täuschen, aber jeder Augenblick konnte nĂĽtzlich sein. Dann blickte ich mich weiter um und ĂĽberlegte, wohin ich mich wenden sollte.

Die Gefangenen saĂźen gewiss in den Lagerräumen und wurden bewacht. Doch die KapitänskajĂĽte war gewiss auf dem Weg dahin. Ob ich da vielleicht vorher vorbeischauen sollte? Ich entschied mich fĂĽr letzteres, schritt die Treppe hinunter und bis zur TĂĽr des Kapitäns. Zuerst lauschte ich, hörte dahinter jedoch nichts. Dann öffnete ich die TĂĽr langsam und vorsichtig, erst einen Spalt, dann weiter, bis ich hindurchschlĂĽpfen konnte. Ich befand mich in einer gemĂĽtlichen KajĂĽte, mit zwei hohen Fenstern, durch die das Mondlicht drang und so den Raum beleuchtete. Ein Tisch, Stuhl, Schrank und da hinten die Koje. Und da schlief jemand drin. Ich machte zwei Schritte in den Raum, als mein Blick auf einen Gegenstand fiel und ich grinsen musste. Da lag es, ein langes StĂĽck Holz, ein Kantholz. Ein richtiger PrĂĽgel. Damit hatte ich doch schon einmal zu tun gehabt und da hatten die Piraten auch im Mittelpunkt gestanden. Ich schnappte mir das Kantholz, wog es kurz in der Hand und wandte mich dann mit einem fiesen Grinsen zu der schlafenden Gestalt um. Es war Zeit, ein Unrecht wieder geradezurĂĽcken. Ich ging zur Koje und tippte mit dem spitzen Finger die Gestalt an. »Schönling. Aufwachen.« flötete ich zuckersĂĽĂź. Die Gestalt rĂĽhrte sich und richtete sich dann ins Sitzen auf. Es war tatsächlich Schönling. Und er blinzelte verdutzt, als er mich sah. »Was? Du?« 

»Ja, ich. Ich wünsche dir eine gute Nacht.« erwiderte ich und ich merkte, wie er mich noch verwirrter anstarrte. So grob aus dem Schlaf gerissen, arbeiteten seine grauen Zellen wohl noch nicht besonders gut. »Hä?« brachte er deshalb nur raus. Das war allerdings auch das letzte Wort, was er sagte, denn dann sah er nur noch das Kantholz auf sich zukommen, das ihr schwang. Es klang dumpf, als das Holz gegen seine Stirn prallte, sein Kopf nach hinten zuckte und dann noch sein Hinterkopf mit der Wand kollidierte. Er verdrehte die Augen und sackte zusammen. Ich atmete zufrieden auf. »Darauf hatte ich schon seit der Falle in den Trollruinen gewartet.« Ich musterte noch einmal Schönling, der nun zu seinen bisherigen Macken noch eine ordentliche Beule auf der Stirn dazu bekommen hatte und wog ein weiteres Mal das Holz in meiner Hand. »Gut, dann wollen wir mal Gefangene befreien.« meinte ich und wandte mich um. Mit ein paar Schritten hatte ich den Raum durchquert und war zur Tür hinaus. Mein Weg führte mich zum Lagerraum.

Man hatte tatsächlich eine Wache vor die Tür zum Lagerraum gesetzt, doch für mich und meinen Knüppel war das ein gefundenes Fressen. Ich hatte nicht mal so getan, als würde ich die Treppe hinunterschleichen. Der Vorteil von einer verwinkelten Treppe war, dass man erst sehr spät erkannte, wer dort herunterkam. Und da auch niemand die verrückte Elfe mit der Keule in der Hand erwartete, war die Wache völlig unvorbereitet und bekam das Holz direkt ins Gesicht und danach noch einmal auf den Schädel. Der rührte sich nicht mehr. Ich durchsuchte seine Taschen und fand den Schlüssel zur Tür. Ich schloss auf und starrte in über zwei Dutzend Augenpaare, die mich ungläubig anstarren. »Kari?«, fragte Schreihals, die Anführerin der Expedition und man konnte erkennen, dass sie nicht glaubte, was sie sah.

»Ganz recht. Ich dachte mir, wenn ich euch schon einmal gerettet habe, wieso nicht gleich ein zweites Mal, hmm?« Ich grinste. »Was ist? Ist das hier so gemütlich? Also, ich fand es an Deck schöner.« Schließlich kam Schreihals zur Besinnung und grinste zurück.

»Du bist ein Phänomen Kari« Sie schüttelte den Kopf, während ich ernst nickte, dabei aber weiterhin grinste.

»So ist die allgemeine Meinung«, erwiderte ich amüsiert und Schreihals schnaubte. »Ist noch was von den Piraten übrig?«, fragte sie dann und ich nickte.

»Im Mannschaftsraum war ich noch nicht. Die Schlafenden gehören euch. Ich hab mich nur um Schönling und die Zwergin gekümmert. Die dürften jetzt Kopfschmerzen haben.« Schreihals nickte und winkte ihre Mannschaft zu sich. Besonders Eisenbeiß knetete bereits seine Fäuste und zeigte ein zufrieden-grimmiges Gesicht. Mir taten die Piraten schon ein wenig leid.

In kĂĽrzester Zeit befanden sich alle Piraten im Lagerraum, in dem vorher noch die Expeditionsteilnehmer gesteckt hatten. Auch die Forscher von den Ruinen, vor denen wir ankerten, waren hier gefangen gewesen. Als ich von dem Jungen sprach, waren dessen Eltern ĂĽberglĂĽcklich, sodass wir noch in der Dunkelheit an Land gingen und ihn holten. Die Wiedersehensfreude der Eltern rangen auch mir ein paar Tränen ab. 

Am nächsten Morgen ging es dann nach Beutebucht, dort wollten die Forscher aussteigen und sich für eine neue Reise rüsten, während Schreihals mit ihrer Expedition nun endlich die Heimreise antreten wollten und dieses Mal hoffentlich nicht noch einmal von Piraten aufgehalten wurden. Die Piraten um Schönling herum sollten der Gerichtsbarkeit von Sturmwind vorgeführt werden, damit sie wirklich kein Unheil mehr anrichten konnten. Der Obrigkeit von Beutebucht war in der Hinsicht nicht zu trauen.

Als wir dann in Beutebucht ankamen, verabschiedete ich mich von meinen Gefährten, ging an Land und zu meinem kleinen, geliebten Boot. Auch für mich war es Zeit, die Heimreise anzutreten, denn in Sturmwind wartete nicht nur mein geliebter Ehemann, sondern auch eine Menge Arbeit. Doch als ich mein Boot erreichte, warteten dort drei mir sehr bekannte Gestalten, der Hüne, Schiefnase und Kahlkopf.

Der HĂĽne trat auf mich zu und deutete auf mich. »Da bist du ja, du kleine Elfenschlampe. Auf dich haben wir gewart â€¦ argh â€¦Â« kreischte er am Ende, denn ich hatte wieder seinen Zeigefinger gepackt und bog ihn zurĂĽck, sodass er langsam in die Knie ging.

»Man, du bist ja selten dämlich, den gleichen Fehler noch einmal zu machen.« Ich schĂĽttelte den Kopf. Und schon kamen die anderen beiden auf mich zu. Kahlkopf links, Schiefnase rechts. Wieder reagierte ich, sprang auf Schiefnase zu, hielt den Finger des HĂĽnen aber weiterhin gepackt, sodass dieser wimmernd hinterher stolperte und trat meinem GegenĂĽber auf den FuĂź. Schiefnase brĂĽllte auf, immerhin hatte ich den Absatz meines Stiefels genutzt und war mit viel Schwung auf den FuĂź des Schlägers gesprungen. Schiefnase krĂĽmmte sich, um sich sein Bein zu halten und so drehte ich mich wieder zu dem HĂĽnen um, bugsierte ihn mithilfe seines ĂĽberdehnten Fingers in die richtige Richtung und gab ihm einen Schubs. Er stolperte rĂĽckwärts gegen Kahlkopf. Das war erstmal nicht so schlimm, aber so hatte ich beide wenigstens fĂĽr einen Moment vom Hals. Ich wandte mich also wieder Schiefnase zu, griff ihm ins Haar, hob mein Knie und lieĂź sein Gesicht damit kollidieren. Ein Schwall Blut spritzte durch die Gegend, als ich ihm die Nase wieder brach. Es wĂĽrde sein Anblick nicht verschandeln, meinte ich und lieĂź ihn erstmal in Ruhe auf den Boden sinken, sich FuĂź und Nase vor Schmerz haltend. 

Die beiden Anderen hatten sich wieder gefangen und der Hüne brüllte jetzt mehr vor Wut als Schmerz und stürmte auf mich zu. Ich wartete lange ab, erst im letzten Moment wich ich mit einer Drehung zur Seite aus, bog den Oberkörper vor den greifenden Händen zurück, damit er mich nicht zu fassen bekam und trat ihm in die Hacken, als er an mir vorbeitaumelte. Der Hüne stürzte und prallte dadurch mit dem Oberkörper auf einen Poller. Ich verzog Anteil nehmend das Gesicht. Das sah schon beim Zusehen schmerzhaft aus. Dem Hünen hatte es die Luft beraubt, er sackte zur Seite, hielt sich die Brust und japste nach Luft.

Dann kam der Kahlkopf. Dem konnte ich nicht mehr ausweichen, er packte mich mit beiden Armen und versuchte, mich so festzuhalten. Er presste mich gegen seine Brust und verstärkte den Griff noch mehr. Er war sehr viel stärker als ich, aus dem Griff konnte ich mich so nicht befreien, zumal meine Arme noch an den Körper gepresst waren.

»Hab ich dich. Du kannst so viel zappeln, wie du willst, du hast keine Chance â€¦Â« lachte der Kahlkopf, während seine Gefährten um ihm herum sich vor Schmerzen auf dem Boden wälzten. Der Kahlkopf hob mich vom Boden hoch und machte zwei Schritte Richtung Wasser. »Jetzt ertränke ich dich wie eine Ratte, dämliche Elfenschlam â€¦Â« Weiter kam er nicht, denn er hatte einen Fehler gemacht. Um mir seinen Plan zu erklären, hatte er sein Gesicht mir zugewandt und die letzten Worte mir ins Ohr geflĂĽstert. Aber auch wenn ich gerade keine Arme einsetzen konnte, meinen Kopf konnte ich nutzen. Und das tat ich, indem ich ihn Kahlkopf ins Gesicht knallte. Der Griff lockerte sich und ein wenig zappeln half, um mich gänzlich zu befreien. Zuerst gab ich dem Kerl einen EllenbogenstoĂź auf die Brust, sodass ihm die Luft wegblieb. Dann drehte ich mich zu ihm um. Er hielt sich die blutende Nase und die Brust und war fĂĽr einen kurzen Moment benommen. Den nutzte ich eiskalt aus und trat ihm noch zwischen die Beine. Seine Augen wurden groĂź, seine Hände wanderten zur Körpermitte und er klappte in sich zusammen und wĂĽrgte. Ich atmete kurz durch und blickte mich um. Alle drei lagen am Boden und wälzten sich hin und her. Ich nickte zufrieden.

»Wenn ich euch noch einmal sehe, dann mach ich wirklich ernst â€¦Â« meinte ich. Darauf löste ich die Leinen von meinem Boot, sprang hinein und segelte davon. Von Piraten hatte ich jetzt erstmal genug.


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