Geschichten einer Abenteurerin – Band 2

Geschichten einer Abenteurerin - Band 2
Das zweite Buch einer Reihe von Nacherzählungen zu den Erlebnissen von Kari Sha’thar. Dieses Buch trägt den Titel: "Die Sache mit dem Turm".

Die Sache mit dem Turm

Prolog

Was bisher geschah:

Ich hatte vom Dicken, wie ich meinen Bekannten nenne, der mich mit Aufträgen und Informationen versorgt, den Auftrag erhalten, zwei Leinwände von einer Diebesbande zu besorgen, die ihren Unterschlupf in einer alten Burg besaß. Ich schlich also in das Versteck und kehrte – etwas ramponiert, aber mit den gewünschten Bildern – von dort zurück. Noch am Abend übergab ich die Leinwände dem Dicken und begab mich dann in die fürsorglichen Hände meines Helden. Zwei Tage später bekam ich die Bitte überreicht, ich möge doch dem Dicken wieder einen Besuch abstatten.

Ich machte mich also auf den Weg zu ihm in der Altstadt. Als ich die Tür zu seinem Laden öffnete, erscholl wie immer das typische Klingeln der Glocke, die über der Tür aufgehängt war. Wie immer brachte mich das zum Lächeln.

» Hallo Dicker « grüßte ich den schwergewichtigen Mann hinter dem Tresen. Auf dessen Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. » Da ist ja meine Lieblingselfe. Kleine, du kommst genau im richtigen Moment. « 

Ich lächelte ihn an. » Na, ich komme halt immer im richtigen Moment.. « Sagte ich, bevor ich es richtig durchdenken konnte und biss mir im Anschluss auf die Unterlippe. » Ehm… das könnte man jetzt missverstehen « versuchte ich die Sache noch zu retten, aber da lachte bereits mein Gegenüber, während mir langsam die Wangen brannten.

» So viel intimes wollte ich von dir nun auch nicht wissen « antwortete der Dicke und zog unter dem Tresen ein dickes Pergament hervor und breitete es auf dem Tisch aus. » Aber kommen wir zum Geschäft zurück. « 

» Ja bitte « meinte ich nur erleichtert und trat näher an den Tresen heran.

Der Dicke deutete mit einem seiner riesigen Finger auf das Pergament. » Hier. So einen Gegenstand benötige ich noch. Und ich denke, ich weiß, wo sich dieser finden lässt. « 

Ich schaute mir das Pergament mit zusammen gekniffenen Augen an. » Das sieht wie ein Vergrößerungsglas aus, nur mit einem Kristall und diesen seltsamen Zeichen am Rand. Für was ist das gut? « fragte ich neugierig.

Der Riese nickte. » Vergrößerungsglas trifft es schon ganz gut. Es wird im Grunde genau so verwendet. Man nennt es Videt Speculum Occultatum oder auch Glas des versteckten Sehens. Dadurch können magisch unsichtbare Schriften sichtbar gemacht werden. « 

Ich runzelte die Stirn. » Und wofür brauchst du sowas? Und vor allem, wo findet man sowas? « 

Der Dicke lächelte. » Du wirst es sehen, wenn du es besorgt hast. Und die Information, wer so einen Gegenstand hat, habe ich vor nicht einmal einer Stunde erhalten. Ein Schwarzmagier, von der Akademie wegen diverser Übertretungen geächtet, der deshalb noch nicht im Kerker gelandet ist, weil man ihm nichts nachweisen kann. Er sitzt in seinem Turm in Westfall, am Rande des Düsterwaldes. Die Bevölkerung meidet ihn und macht um seinen Turm einen großen Bogen. « 

Ich biss mir auf die Unterlippe. » Ein.. Schwarzmagier? Na toll. Dein letzter Auftrag, die beiden Bilder zu beschaffen, war schon nicht ohne, aber jetzt auch noch was aus dem Fundus eines Schwarzmagiers besorgen? Also da muss mehr drin sein, als in der Wohnung wohnen zu dürfen mein Lieber. Ich mein, der Zauberer wird mir das Ding hier bestimmt nicht freiwillig übergeben, oder? « 

Der Dicke seufzte. » Na gut. Drei Monatsmieten. In Ordnung? « 

» Und die Möbel! « bestand ich drauf.

Der Riese kniff die Augen zusammen. » Möbel? Das ist aber jetzt etwas happig. «  

Ich zuckte mit den Schultern. » Zauberer « sagte ich, als würde das alles erklären. » Such dir halt einen anderen Dummen, der das für dich macht. Ich glaub kaum, dass du da so günstig jemanden findest. « 

Der Dicke brummte missmutig. Aber ich kannte ihn gut, die Hälfte von dem war nur Schauspiel. » Also in Ordnung. Die Möbel sind auch drin. « bestätigte er schließlich.

» Prima « meinte ich sehr zufrieden. » Dann besorge ich dir dein.. Glas des.. was auch immer. Bis die Tage. « Wir besiegelten die Verhandlung mit Handschlag und schon war ich aus dem Laden draußen. Das Klingeln der Türglocke begleitete mich beim nach draußen gehen. Vor dem Laden blieb ich kurz stehen. Einen Zauberer zu beklauen war nicht ganz einfach und bedurfte einige Vorbereitungen. Ich rieb mir die Hände. Also ran an die Arbeit. 

Inhalt

Kapitel 1 – Reinkommen

Den Turm zu finden war nicht sehr schwer gewesen. Zwar zeigten sich die Bewohner von Westfall etwas reserviert gegenüber mich – sie hatten wohl eher selten eine kleine, blauhaarige Elfe zu Gesicht bekommen – aber das deutliche Unbehagen, wenn es um diesen Zauberer ging, wies mir den Weg. Und so kam es, dass ich hinter einem großen Findling hervor sah und den Turm, in dem sich angeblich der Schwarzmagier zusammen mit dem gesuchten Artefakt aufhielt, beobachtete. Der Turm war nicht unbedingt klein, er konnte einige Leute beherbergen, was die zwei Kerle, die am Eingang des Turm standen und sowas wie Wache hielten, bewiesen. Die Beiden waren alles andere als aufmerksam, aber ein vorbeischleichen schied trotzdem aus. So blind konnten sie nicht sein. Doch nun kam die Frage auf, wie reinkommen? Ich kaute wieder auf der Unterlippe, eine Angewohnheit, die ich häufiger machte, wenn ich nachdachte. Ich schaute noch einmal zu den beiden Kerlen hinüber. Sie sahen wirklich schäbig aus. Das waren keine anständig bezahlten Wachposten, sondern irgendwelche Herumtreiber, die wenig bis gar keine Bildung besaßen. Möglicherweise konnte da der alte Trick mit der armen, schwachen Frau in Nöten funktionieren. Ich überlegte noch einen Augenblick und zuckte schließlich mit den Schultern. Wenn ich es nicht ausprobierte, würde ich es nie erfahren. Für den Trick musste ich mich aber entsprechend herrichten. Ich nahm mein Schwert vom Rücken und lehnte es für später an dem Findling an. Die Pistole wanderte dazu, die war zu schwer zu verstecken. Der schwere Dolch an meiner Seite schob ich hinten im Rücken in den Gürtel, so dass er nicht gleich gesehen werden konnte. Soweit so gut, die offensichtlichen Waffen waren damit versteckt. Nun zur Kleidung. Ich war wenig erfreut mein weißes Hemd mit ein wenig Dreck einzusauen, aber wenn man eine hilflose Frau, die gerade durchs Dickicht stapfte, darstellen wollte, konnte man kaum mit blütenweißem Oberteil herum laufen. Auch die Hose musste ein paar kleine Flecken abbekommen. Ein kleiner Dreckstreifen im Gesicht verfeinerte das Ganze noch etwas. Nun zum Rest. Zwei Knöpfe auf, würde bei den Kerlen gewiss für ein wenig Ablenkung sorgen, dazu das Haar noch ein klein wenig unordentlich machen – nicht zu viel, ich sollte hilflos wirken, nicht wie eine Hexe – und fertig war die Verkleidung. Nun schlug ich einen Bogen um den Findling, man sollte nicht merken, woher ich eigentlich vorher kam. Dann atmete ich mehrmals stark ein und aus. Die Performance musste schließlich glaubhaft sein. Indem ich meine Atmung durcheinander brachte, würde ich vor den Kerlen keuchen, als wäre ich mit meinen Kräften am Ende. Noch dazu trat ich extra auf ein paar morschen Ästen auf, so dass mich jeder schon von Weitem hören konnte und quälte mich extra durch ein stacheliges Gebüsch. Wie gewünscht, blieb mein Oberteil natürlich direkt an einem Ast hängen. Innerlich fluchte ich, konnte ich die hübsche Bluse nach diesem Einsatz wegwerfen. » Hallo? Heee.. ihr da.. Hilfe… « rief ich und winkte den beiden Kerlen zu und tat so, als müsste ich mich weiterhin von dem Ast befreien. Einer der beiden Kerle hatte eine wirklich üble Geiernase, das prägnanteste in seinem Gesicht. Er griff sofort zu seinem Schwert, zog es aber noch nicht blank, sondern blickte sich misstrauisch um. Auf den Kerl musste ich Acht geben. Der andere Kerl hatte sich seitlich zwei Zöpfe gebunden, eine für Menschen doch recht ungewöhnliche Art, wie ich fand. Er hielt seine Daumen auf weiterhin noch hinter seinem Gürtel gesteckt und blickte mir nur neugierig entgegen. Das war eindeutig der Dümmere von beiden.

Keiner der Beiden schien gewillt zu sein, mir zu helfen. Da war wohl in Sachen Etikette bei denen gespart worden, wie ich befand und befreite mich schließlich selbst. Ich taumelte noch ein paar weitere Schritte den Kerlen entgegen, dann blieb ich stehen, stützte meine Hände auf meinen Knien ab und Keuchte laut. » Ent… entschuldigt.. aber.. ich.. hab mich verirrt. Ich hab mich nur ein paar Meter von unserem Lager entfernt.. und.. und dann hab ichs nicht mehr gefunden. Und jetzt… suche ich hier.. « keuchte ich vor mich hin, richtete mich auf und hielt mir die Seite, als hätte ich Seitenstechen. » Und dann… hab ich diese furchtbaren… Tiere gesehen. Auf zwei Beinen und mit furchtbaren.. Waffen und fauchten… da… da bin ich weg gerannt. « 

Geiernase blickte sich weiter misstrauisch um. » Tiere? Die Waffen trugen und fauchten? Ihr meint Gnolle? Wo war das? « 

Ich tat so, als würde ich ein wenig taumeln. » Ich… keine Ahnung, was das für.. Wesen waren.. das.. war da hinten.. glaub ich « Ich machte eine vage Handbewegung in die Richtung aus der ich gekommen war. Dann hielt ich mir wieder die Seite und verzog das Gesicht schmerzverzerrt, als wären die Seitenstechen unerträglich. » Kann.. ich etwas zu trinken haben? Und mich bei euch ausruhen? Und könnt ihr mir sagen, wo ich mich befinde und wie ich wieder zurückkomme? « Ich beugte mich etwas vor und atmete tief ein, um den beiden Kerlen gewisse tiefe Einblicke gewähren zu lassen. Zöpfchen schien auch sogleich zu reagieren. Er grinste breit, während er ganz ungeniert starrte und auf kaum was anderes achtete. Aber auch der andere – Geiernase – riskierte einen Blick, behielt die Umgebung trotzdem weiterhin im Auge. Er war tatsächlich der Intelligentere. 

» Aber natürlich. Wir sind ja keine Unmenschen, selbstverständlich bekommt ihr etwas zu trinken, meine Liebe « sagte Zöpfchen, in einem Ton, der mir die Nackenhaare aufstellen ließ. Aber ich musste weiter meine Rolle spielen und überhörte daher die Andeutungen und lächelte erfreut. Zöpfchen ging zur Tür des Turms und öffnete sie. » Kommt nur herein. Kommt nur zu uns in Sicherheit. « meinte er und ich konnte mir schon rege vorstellen, was passieren würde, wenn ich dem Folge leiste. Er bestätigte meine Gedanken im selben Moment, als er besonders schmierig grinste. Ich unterdrückte den Ekel, nickte und lächelte einfältig und kam näher.

» Vielen Dank. Ihr seid so gütig. Ich weiß gar nicht, wie ich euch danken kann. « antwortete ich, obwohl ich mich lieber übergeben wollte und taumelte den Beiden weiter entgegen. Geiernase schien nun doch in seiner Vorsicht nachzulassen, denn er nahm die Hand von seinem Schwertgriff und machte grinsend eine einladende Geste.

» Ich bin sicher uns wird schon was einfallen, wie ihr uns danken könnt. « meinte er ebenso mit einem schmierigen Grinsen und einem gierigen Blick. Das stellte meine Selbstdisziplin nun wirklich auf eine schwere Probe, aber zum Glück musste ich nicht mehr lange durchhalten.

Als ich endlich an der Tür war, konnte ich die Maske fallen lassen. Zöpfchen war vor gegangen, Geiernase hielt die Tür auf, beide hielten mich für ungefährlich und so konnte ich sie überraschen. Ich griff nach der Tür, zog sie zu mir, wodurch ich sie Geiernase entriss und knalle sie diesem dann mit Wucht gegen den Kopf, worauf dieser zurück taumelte. Gleich darauf trat ich Zöpfchen in die Kniekehle, so dass dieser stolperte. Er brach noch einen Ton heraus, der irgendwas zwischen Überraschungs- und Alarmschrei sein sollte, da machte sein Gesicht auch schon Bekanntschaft mit der Wand und mit einem leisen Seufzen, sackte er in sich zusammen. Geiernase hingegen war noch nicht ausgeschaltet. Er versuchte gerade wieder sein Gleichgewicht zu finden, doch ich ließ ihm keine Chance. Ein gezielter Tritt in seine Kronjuwelen ließ ihn zu einem Häuflein Elend zusammen fallen und ein zweiter Tritt, direkt auf seine Geiernase, ließ ihn endgültig die Besinnung verlieren.

Ich atmete erleichtert auf, packte Zöpfchen am Kragen und schleifte ihn nach draußen zu seinem bewusstlosen Kameraden. Ich ließ ihn neben diesem im Gras liegen und hoffte, keiner von Beiden würde in der nächsten halben Stunde wieder zu Besinnung kommen. Mehr Zeit gab ich mir nicht. Dann betrat ich den Turm und schloss die Tür hinter mir.

Kapitel 2 – Der Turm

Nicht sehr überraschend war das Erdgeschoss kreisrund – wie der Turm eben von außen und hatte nicht sehr viel mehr zu bieten als eine hölzerne Treppe, die sich in Spiralen nach oben wand. Von irgendwo da oben waren Stimmen zu vernehmen. Gedämpft, aber mit meinen Elfenohren waren sie auszumachen. Was genau gesprochen wurde, konnte ich nicht verstehen, es wirkte auch mich jedoch nicht alarmierend. Zufrieden knöpfte ich mir das Oberteil wieder zu und zog den Dolch von hinter dem Rücken hervor, um ihn prüfend in der Hand zu wiegen. Ich behielt ihn dort und schlich vorsichtig die Treppe nach oben, wobei ich darauf achtete, am Rand zu laufen, um so wenig Geräusche wie möglich zu machen. Auf Höhe des ersten Stockwerks war ein Plateau, die Treppe schlängelte sich jedoch noch weiter in die Höhe. Hier waren aber Räume und die Geräusche der Stimmen kamen aus einem Raum, dessen Tür halb geöffnet war. Es mussten drei oder vier Kerle sein, die sich da unterhielten. Vorsichtig schlich ich näher und spähte in den Raum hinein.

Es war eine Schlafkammer mit mehreren Betten, Kleiderschränken und einem Tisch mit mehreren Stühlen. Zwei Kerle saßen auf einem der Betten und spielten Karten, die anderen saßen am Tisch. Alles sah friedlich aus, als würden die Kerle nur ihre Zeit vertreiben. 

Bevor ich weiter nach oben schlich musste ich aber dafür sorgen, dass diese vier Kerle hier mir nicht den Rückweg abschneiden konnten. Ich bewegte vorsichtig die Tür und war froh, dass sie fast lautlos war. Ich nahm mir ein wenig Zeit und schloss die Tür Fingerbreit um Fingerbreit. Ich drückte vorsichtig die Klinke herunter und ließ die Tür ins Schloss fallen. Ganz langsam ließ ich die Klinke los und atmete auf. Die Tür war jetzt schon einmal zu, jetzt musste ich nur noch verhindern, dass die Kerle sie einfach wieder öffneten. Dazu löste ich aus meinem Haarband einen gekrümmten Dietrich, den ich immer dort versteckt habe und fädelte ihn in das Schloss ein. Ich steckte den schweren Dolch weg und ließ mit einer Armdrehung mein kleines Messer in der Hand erscheinen. Ich nutzte die Klinge als Unterstützung und nach kurzer Zeit hörte ich ein Klicken und war sicher, dass das Schloss nun zu war. Ich hielt den Atem an, ob einer der Kerle hinter der nun geschlossenen Tür etwas davon gemerkt hatte, aber ich hörte nichts verdächtiges. Zufrieden verschwand das Messer wieder und ich steckte den Dietrich zurück in das Haarband. Als ich mich erhob, fiel mein Blick auf einen Stuhl, der in einer Ecke stand und ich musste grinsen. Der Stuhl kam mir gerade recht. Ich holte ihn und schob ihn leise unter die Türklinke, wodurch ich ein herunterdrücken verhinderte. Das sollte wenigstens für kurze Zeit reichen, befand ich und machte mich wieder an den Aufstieg im Turm.

Ich blieb im zweiten Stock kurz stehen und lauschte, doch ich vernahm in diesem Stockwerk nichts. Der Zauberer hatte gewiss sein Refugium im höchsten Stock, daher sparte ich es mir, mich hier genauer umzusehen. Ich stieg die Stufen weiter hinauf, bis diese direkt vor einer Tür endeten. Vorsichtig legte ich mein Ohr an das Holz und lauschte. Dahinter konnte ich jemanden hören, leise vor sich hin reden. Ich holte tief Luft und hoffte mal, die Person würde nicht in dem Moment Richtung Tür sehen, in der ich gerade die Türklinke vorsichtig herunter drückte. Die Tür war unverschlossen, ein Glück. Ich schob sie gerade so weit auf, um einen Blick riskieren zu können. An den Wänden des Raumes waren Regale, vollgestopft mit allem möglichen Krimskrams, dem ich nicht mal im entferntesten einen Wert beimessen konnte. Der vermutliche Zauberer stand an einem Stehpult, das vor einem Fenster stand und blätterte gerade in einem Buch. Er war wohl etwas älter, hatte weißes, langes Haar und eine feine, in dunklen blau gehaltene Robe an. Wie es das Glück so wollte, hatte er so mir den Rücken zugedreht. Der Zeitpunkt war ideal. Ich vergrößerte den Spalt noch ein wenig, so dass ich mich durchquetschen konnte und schlich mich dann kaum hörbar an den Zauberer heran. Kurz bevor ich ihn erreicht hatte, zog ich eine mit einem Betäubungsgift versehene Nadel aus dem Leder meines Gürtels. 

Ich habe an meinem Gürtel verschiedene Phiolen mit diversen nützlichen Giften. Keine tödlichen Gifte, es sei denn, man nahm zu viel auf einmal von einem der Gifte. Und dazu habe ich dünne Nadeln, die, wenn die Spitze in eins der Gifte getaucht wird, besagtes Gift wunderbar in den Blutkreislauf meines.. Opfers bringen können.

Ich hatte also eine dieser Nadeln in der Hand, getränkt mit einem starken Schlafgift. Die Wirkung des Schlafgifts trat schneller ein, je höher ich die Nadel einstach. Ein Stich in den Nacken schaltete mein Gegenüber in der Regel fast sofort aus, ein Stich in den Fuß würde dem Opfer noch ein bis zwei Minuten Zeit geben. 

Es lag ja auf der Hand, wo ich die Nadel bei dem Zauberer ansetzen würde und das war ganz gewiss nicht der Fuß. Ein wildgewordener Zauberer, der noch ein bis zwei Minuten handeln konnte? Nein danke. Ich stach zu und der Schwarzmagier, der gerade noch leise vor sich hin gemurmelt hatte und in einem Buch etwas suchte, zuckte nur zusammen, bevor er auf dem Pult zusammen brach. Ich wollte ihn noch auffangen, doch er war einfach zu massig für mich. Der Stoff seiner Robe rutschte mir aus den Händen und der Kerl vor mir ging mit einem lauten Rums zu Boden. » Entschuldigung.. « murmelte ich, denn der unsanfte Aufprall war nicht gewollt von mir. Ich beugte mich vorsichtig noch einmal über den Kerl, um festzustellen, ob er auch wirklich schlief. Das tat er, wie ich mit einem Grinsen feststellte. Soviel zu mächtigen Zauberern. Ich klopfte dem Schlafenden noch einmal aufmunternd auf den Oberarm und erhob mich schließlich. Dann blickte ich mich um.

Die Regale waren verflucht hoch und jedes verdammte Fach war voll mit Büchern oder sonstigen Gegenständen, von normaler, bis vollkommen ungewöhnlicher Form. Ich seufzte. Es würde kein einfaches sein, aus diesem ganzen Krimskrams den gesuchten Gegenstand zu finden. Und ich behielt recht. Ich brauchte für meine Begriffe lange, eigentlich wollte ich zu dieser Zeit längst aus dem Turm verschwunden sein, aber schließlich entdeckte ich dieses Glas des… was auch immer in einem Fach, knapp außerhalb meiner Reichweite. Ich holte mir also einen Stuhl, schob ihn unter die besagte Stelle, stieg darauf und griff nach dem Glas.

Kapitel 3 – Rauskommen 

» Na wen haben wir denn da? Eine kleine Diebin. Das wird Meister… « Ich zuckte erschrocken zusammen und hätte das Glas beinahe fallen gelassen. Ich drehte mich, noch immer auf dem Stuhl stehend, nach der mir unbekannten Stimme um. Ein schlanker Kerl stand in der Tür des Arbeitszimmers und blickte gerade zwischen mir und dem am Boden liegenden Zauberer hin und her. 

» Keine Sorge, der schläft nur. « beruhigte ich den Kerl und glitt vom Stuhl runter. Ich verstaute den gesuchten Gegenstand ohne Hast in meiner Gürteltasche. » Und ich bin mir sicher, er wäre sehr glücklich, wenn ihr ihn noch eine Weile ruhen lassen würdet. « log und grinste ich den Kerl an. Er musterte mich finster, seine Hände ruhten bereits auf seinen zwei Dolchen, sie er links und rechts an den Seiten trug.

» Das war ein Fehler kleine Diebin. Du hättest dir einen anderen Ort suchen sollen… « meinte er mit drohendem Unterton. Ich dachte aber nicht daran, mich einschüchtern zu lassen.

» Ach so? Ja, dann sollte ich jetzt schleunigst gehen. Vielen Dank für die Warn… « antwortete ich, wurde jedoch je in meinem Satz unterbrochen. 

» Du glaubst doch nicht, dass du an mir, Sid dem Schlitzer, vorbei kommst? « 

Ich schaute den Kerl kurz irritiert an, bevor ich in schallendes Gelächter ausbrach. 

Ich muss mich leider bei dem geehrten Leser entschuldigen, wie ich ja bereits in Band 1 schrieb, habe ich ein furchtbares Namensgedächtnis. Ich bin mir also gar nicht so sicher, ob der Kerl sich als Sid vorgestellt hatte, aber umso sicherer, dass er sich mit dem Beinamen Der Schlitzer betitelt hatte. Er könnte auch einen anderen Vornamen genannt haben, aber egal ob Sid der Schlitzer, oder Fridolin der Schlitzer, es war der Beiname der mich in schallendes Gelächter ausbrechen ließ. Aber nun zurück zur Geschichte.

» Der Schlitzer? Ehrlich? « Ich schüttelte immer noch lachend den Kopf. » Also ihr Kerle gebt euch wirklich die dämlichsten Namen. « Der Schlitzer knurrte wütend und zog seine beiden Dolche blank. Das waren leicht gekrümmte Mordinstrumente, die ordentlich Schaden verursachen können, wenn sie den trafen. Und der Kerl stürmte ohne ein weiteres Wort zu verschwenden auf mich los. Ich trat ihm als erstes den Stuhl, auf dem ich gestanden hatte, in den Weg und konnte den Kerl damit wenigstens ein paar Augenblicke aufhalten. Dann griff ich ins Regal, nahm das erstbeste, was ich finden konnte und schleuderte es nach dem Messerhelden. Er konnte im letzten Moment ausweichen, doch schon hatte ich den nächsten Gegenstand in der Hand, irgendwas gläsernes. Auch diesen schleuderte ich auf den Kerl. Dieser wurde an der Schulter getroffen und der Gegenstand zersplitterte in unzählige Teile. Der Treffer sorgte dafür, dass mein Gegenüber stehen blieb. Perfekt. Ich machte weiter und nahm einen Gegenstand nach dem anderen aus den übervollen Regal und warf es. Viele Dinge trafen nicht und zerschellten an der Wand oder dem Boden, aber es gab auch ein paar anständige Treffer. Dann traf ein dicker Wälzer den Messerstecher am Kinn und ließ ihn taumeln. Diesen Augenblick nutzte ich, senkte den Kopf und rannte in vollen Lauf auf den Kerl zu. Zu meiner Überraschung stürzte er nicht sofort zu Boden, sondern taumelte erst noch weiter nach hinten. Ich ließ aber nicht locker, bis ich meinen Fehler bemerkte. Dann war es jedoch zu spät.

Wir stürzten aus dem Raum hinaus, doch hinter der Tür war nur noch die Wendeltreppe die von unten nach oben führte. Ich konnte nicht mehr abbremsen und fiel mit dem Messerstecher nach unten. Es gab einen dumpfen Schlag, dann wurde ich von dem Kerl weg geschleudert. Ich spürte noch, dass ich beim Fallen ihn wenigstens einmal noch mit dem Fuß traf, dann knallte mein Kopf gegen eine der Stufen und um mich herum wurde es schwarz.

Ich vermutete, dass nicht viel Zeit vergangen war, als ich wieder wach wurde. Es hämmerte wild in meinem Kopf und ich lag in einer sehr ungemütlichen Position auf der Treppe. Von dem Messerstecher war keine Spur. Mühsam stand ich auf und untersuchte mich kurz. Außer ein paar Schrammen und blaue Flecken hatte ich keine Verletzung davon getragen. Am Hinterkopf war eine ordentliche Beule, aber ansonsten hatte ich nichts. Nur dieses Hämmern…

Es dauerte noch ein wenig, bis ich begriff, dass dieses Hämmern nicht von meinem Schädel kam, sondern von unten, von einer gewissen Tür, die ich verkeilt hatte. Die Wachen hatten wohl etwas mitbekommen und wollten nun raus. Lange würde die Tür nicht standhalten, ich musste also hier weg. Ich prüfte noch kurz, ob dieses Glas keinen Schaden genommen hatte – zum Glück nicht – dann lief ich die Stufen leicht schwankend hinab. Ein wenig schwindelig war ich noch, so ganz unbeschadet hatte ich den Sturz wohl doch nicht überstanden. Kaum war ich im Erdgeschoss angekommen, da sah ich ihn. Der Schlitzer lag in der Mitte des Raumes, den linken Arm in einer unnatürlichen Art abstehend. Das sah sehr schmerzhaft aus. Aber immerhin stöhnte er noch. Ich nahm mir kurz die Zeit und beugte mich über ihn. Er hatte tatsächlich einen Sturz aus dem dritten Stock überlebt. Ich nickte ihm zu, auch wenn er es gar nicht registrierte. » Respekt. Das hätte nicht jeder überlebt. Und das mit dem Arm wird schon wieder. « Ich klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter, was ihm einen Schmerzensschrei entlockte. » Oh.. entschuldige. Dann wünsch ich dir eine gute Besserung. « sagte ich, stand auf und war im nächsten Moment zur Tür hinaus. Ich atmete einmal erleichtert auf, als ich von links ein leises Stöhnen hörte. Zöpfchen war wohl wieder dabei, aufzuwachen. Nur zur Vorsicht trat ich ihn noch einmal, wo es weh tut, bevor ich zu dem großen Findling ging, um Schwert und Pistole wieder einzusammeln. Wieder ausgerüstet machte ich mich auf den Weg zurück. Mit dem Brummschädel den ich hatte, sollte ich mich wirklich bald hinlegen, überlegte ich noch, blickte noch einmal zurück zum Turm und grinste schließlich. Auftrag erledigt.


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